Zu den familienpolitischen Vorschlägen von Christa Müller un
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Thema: Zu den familienpolitischen Vorschlägen von Christa Müller un Fr Aug 10, 2007 4:00 pm
Parteioffener Brief an Christa Müller zum Spiegelinterview mit Frau von der Leyen
Liebe Christa!
Es ist erfreulich, dass Deine Positionen zur Frauen- und Familienpolitik dazu führen, dass sich in der Partei eine lebhafte Debatte zu diesen Themen entwickelt. Die Unterschiede der Positionen und die Entwicklung in der Gesellschaft machen sie dringend notwendig. Allerdings sind wir erstaunt darüber, dass Du vor der Auseinandersetzung mit uns als Mitgliedern der Partei DIE LINKE. Streitgespräche mit Frau von der Leyen im Spiegel führst und als prominente Vertreterin der Partei Positionen vertrittst, die sich nicht mit denen unserer gemeinsamen Partei decken. 1. In der Tradition der Arbeiterbewegung wurde es über Jahrzehnte versäumt, Frauenpolitik aufzunehmen und feministische Forderungen ernsthaft zu diskutieren. In diese auf jeden Fall von der SPD mit verursachte Leerstelle, trat von der Leyen mit ihrem Vorstoß, die Krippenplätze auszubauen und einen Politikschwerpunkt Beruf und Familie zu setzen. Dies machte sie zur Modernisiererin mit genuin sozialdemokratischer Politik und ließ die SPD mit leeren Händen zurück. DIE LINKE muss jetzt jedenfalls links von von der Leyen Politik machen, eine Politik die die Bevölkerung möglichst weitgehend einbezieht. Aus der Frauenbewegung erbt sie die unbedingte Anerkennung der Reproduktionsarbeit als Arbeit und den Impuls, der Kolonisierung aller Arbeit durch Lohnarbeit ein umfassenderes Modell entgegenzusetzen, das neben der beruflichen Arbeit und der Hausarbeit auch die politische Arbeit und eigene Entwicklung und Lernen einbezieht. Die Frauen in der LINKEN arbeiten an einem solchen Konzept, das die Flickschusterei einer Politik, die um einige Krippenplätze marktet, hinter sich lässt, perspektivisch auf die Gestaltung einer anderen Gesellschaft zielt und alle von Menschen geleistete Arbeit einbezieht. 2. Dein Vorschlag, den Du im Namen der LINKEN gegen von der Leyen öffentlich machst, will die Kindererziehung in der Familie finanzieren und daher auf den Ausbau von Kinderkrippen und –tagesstätten verzichten. Jenseits aller Polemik in den Begründungen teilen wir mit dir die Auffassung, dass die Situation von Müttern, Vätern und Kindern in der Bundesrepublik verändert und verbessert werden muss. Auch wir wollen nicht, dass Mütter gezwungen werden, ihre Kinder abzugeben, um von den Arbeitsagenturen in den Billiglohnsektor oder in 1 – Euro Maßnahmen geschickt zu werden. Wir teilen Deine Auffassung, dass Familien mit Kindern das Recht auf freie Zeit zur gemeinsamen Verfügung haben. Wir sind mit Dir einer Meinung, dass Frauen in Haushalt und Kindererziehung wichtige und hervorragende Arbeit leisten und kritisieren, dass diese in einer männerdominierten Gesellschaft als „Nebenjob“ abgetan wird. Wir wollen ein Ende der fremdbestimmten Arbeit und ein Leben in Sicherheit und Erfüllung. Wir sehen das Problem häuslicher Gewalt und mangelnder Zuneigung für Kinder. Wir stehen mit Dir gemeinsam auf dem Standpunkt, dass die derzeitigen Konzepte frühkindlicher Erziehung in Kindertagesstätten und Kindergärten, aber auch in Schulen in vielen Fällen am Wohl der Kinder und Eltern vorbeigehen und unzulänglich sind. 3. Aber wir halten es für eine Illusion, Veränderungsvorschläge als Rückkehr zur Einzelfamilie zu machen und daher durch ein Erziehungsgehalt Mütter (oder auch Väter) solcherart absichern zu wollen. Es mag in Einzelfällen eine Möglichkeit besseren Lebens sein, in der Mehrheit aber heißt dies, dass Frauen nach der Kinderphase nicht zurück in den Beruf finden, dass Kindern die Möglichkeit verwehrt ist, mit anderen Kindern aufzuwachsen, dass die sozialen Klassen mit ihren sehr ungleichen Entwicklungschancen einfach reproduziert werden, dass der Schwerpunkt statt auf Verbesserungen gesellschaftlicher Erziehung auf die staatliche Kontrolle privaten Verhaltens gelegt wird. Dein idyllisches Bild der heilen Familie ist realitätsblind und rückwärtsgewandt. Die „normale Familie“, gar nicht zu reden von den brutalen Ausnahmen, von denen täglich die Presse voll ist, entspricht ihrer „normalen Funktion“ im Kapitalismus: sie ist der kostengünstigste Hort zur täglichen Reproduktion der Arbeitskraft und zur ideologischen Reproduktion unkritischer Bürger der bestehenden Klassengesellschaft. Sie drückt die gesellschaftlichen Kosten für Erziehung, Bildung und Gesundheitsversorgung auf Kosten der Familieneinkommen und vor allem auf Kosten der Frauen. Ganz abgesehen davon, ist das von Dir favorisierte Familienmodell ein Auslaufmodell. Die Hälfte aller Kinder lebt heute in Patchworkfamilien oder mit alleinerziehenden Elternteilen. 4. Es geht nicht darum, die Arbeit von Frauen in der Familie klein zu reden. Frauen leisten im Haushalt ein Maß an Arbeit, das weit über eine 40 Stunden Woche hinausreicht. Entgegen Deiner Behauptung, Frauen wollten nicht außer Haus arbeiten, belegen sämtliche Umfragen der letzten Jahre, dass Frauen sich die Rückkehr in den Beruf und eine adäquate Betreuung für ihre Kinder wünschen. Es ist eine alte Forderung der sozialistischen Frauenbewegung, dass Frauen durch die Teilnahme am Arbeitsleben nicht nur sozial unabhängig werden, sondern auch gestaltend in die Arbeitswelt und die Gesellschaft eingreifen. Millionen von Frauen in diesem Land haben nicht die Alternative, ihre Kinder zu betreuen, den Haushalt zu versorgen, gleichzeitig sich selbst zu verwirklichen und in Sicherheit zu leben. Ein Großteil von Frauen mit Kindern lebt heute in relativer Armut, mit der Versorgung von Kindern und Haushalt allein gelassen und ausgeschlossen von vielen Bereichen gesellschaftlicher Mitbestimmung. Männer ziehen sich nach wie vor in den meisten Familien aus der gemeinsamen Verantwortung für Kinder und Haushalt zurück und flüchten in gewollte oder erzwungene Überstunden. In vielen Haushalten fehlt nicht nur das Geld für die künstlerische, literarische und ganzheitliche Erziehung der Kinder, sondern auch das Bewusstsein und die Voraussetzungen dafür. Zunehmend mehr Kinder, die außerhalb des Kindergartens groß werden, weisen Mängel im sprachlichen, motorischen und sozialen Bereich auf. Vor allem für Kinder aus Haushalten mit Migrationshintergrund bieten Krippen eine Lösung in der Frage des frühen Erwerbs auch der deutschen Sprache. 5. Vor der Vereinigung von WASG und Linkspartei.PDS hat es eine monatelange Diskussion um die Programmatischen Eckpunkte in der gemeinsamen Partei gegeben. Es gab Programmgruppen, es gab eine Steuerungsgruppe Frauen, es gab in der LISA, in den Landes- und Kreisverbänden Programmkonvente und es gab mindestens einen Bundesparteitag in beiden Parteien, auf dem lebhaft über die Programmatik gestritten wurde. Warum hast Du Dich nicht hier mit Deinen Vorstellungen eingebracht und sie zur Diskussion gestellt? Der Bundesparteitag in Dortmund hat die Programmatischen Eckpunkte mit breiter Mehrheit beschlossen. Darin heißt es u.a. in Punkt 5: „Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist mehr als eine frauenpolitische Forderung nach Anerkennung fachlicher Kompetenzen. Es geht dabei sowohl für Männer als auch für Frauen um nicht weniger als ein Umdenken und Neubewerten von gesellschaftlicher Arbeit – ob am Computer, im Haushalt, an der Werkbank, auf dem Spielplatz oder bei der Pflege von Angehörigen. Für uns sind Quotierung, ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, Bedarf deckender Ausbau von Ganztageseinrichtungen zur Kinderbetreuung zentrale politische Themen. (….). Konkret zur Einrichtung von Kitas heißt es in Punkt 6. weiter: „Jedes Kind muss das Recht auf eine gebührenfreie ganztägige Betreuung in Kindertagesstätten haben. (…)“. Nicht ohne Grund trennen die Programmatischen Eck-punkte das Thema Frauenpolitik und Kindertagesstätten. Zudem hat der Gründungsparteitag DIE LINKE. eine bundesweite Kitakampagne beschlossen. Die Einrichtung von Kitas ist für uns nicht primär eine Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen, sondern eine bildungspolitische Notwendigkeit, um Chancengleichheit zu erzielen. 6. Wir fordern eine Grundsicherung, die auch Familien mit Kindern ein selbstbestimmtes Leben in Sicherheit garantiert und damit auch eine Grundsicherung für Kinder. Wir wollen, dass Männer und Frauen sich gleichberechtigt um die Kindererziehung und die Pflichten im Haushalt kümmern können. Dazu brauchen wir eine deutliche und schnelle Herabsenkung der Wochenarbeitszeit. Zu Recht steht selbst im noch aktuellen SPD-Programm, und dort auf Druck der Frauen hineingekommen, die Forderung nach der 30-Stunden-Woche. Dieses Land braucht eine Antwort auf die Fragen von jungen Menschen, die in der Ausbildung stehen und Kinder großziehen. Unsere Partei muss Rollenklischees aufweichen und neue Wege fordern und vorleben. Wir wollen, dass Männer und Frauen alles Vier haben können: Freude an ihren Kindern, Freude im Beruf, Teilhabe an der Gestaltung der Gesellschaft und einen Raum für eigenes Lernen und Entfaltung ihrer menschlichen Möglichkeiten. Dazu brauchen wir auch Kindertagesstätten, die in kleinen Gruppen von pädagogischen Fachkräften beiderlei Geschlechts betreut werden. Das Bild von der Mutter als Pädagogin qua Geburt ist falsch. Tausende misshandelter, verwahrloster, retardierter Kinder aus allen Schichten der Bevölkerung beweisen das. Die Aufgabe von Eltern ist nicht primär eine Bildungsaufgabe. Bildung ist Aufgabe der Gesellschaft und damit natürlich vorrangig auch des Staates. Eltern sollen ihren Kindern Liebe, Geborgenheit und Sicherheit vermitteln. Öffentliche, aber auch betriebliche Betreuungseinrichtungen müssen massiv ausgebaut werden, weit über das hinaus, was Frau von der Leyen fordert. Wir wollen auf keinen Fall in eine Zeit zurückkehren, in der Frauen sich mit einem Leben in den vier Wänden begnügen sollten. Wir wollen mehr für Frauen. Wir wollen politische Konzepte diskutieren, die die Arbeit auch der Frauen zuhause anerkennen und mit ihnen für ein vielfältigeres Leben streiten. Wenn der Kapitalismus nicht das letzte Wort der Geschichte sein soll, wollen wir mit Konzepten, die seine Grenzen überschreiten, schon heute im Alltag beginnen. Das verstehen wir unter radikaler Politik von Frauen. 7. Wir fragen uns, warum Du Deine Positionen nicht mit uns und in der Gesamtpartei diskutierst. Wir sollten uns eine solche Debatte nicht über die Presse aufzwingen lassen. DIE LINKE. ist eine pluralistische Partei, die in Arbeitsgemeinschaften, auf Konferenzen und auf Parteitagen Diskussionen ermöglicht und wünscht. Wir fordern Dich dringend auf, mit uns gemeinsam Positionen zu erarbeiten und Dich an die demokratischen Grundsätze der Partei zu halten. Es ist für uns schwer erträglich, mit frauenpolitischen Positionen konfrontiert zu werden, gegen die die Mehrheit der Frauen – und viele Männer – in der Partei kämpfen. Wir wollen keine „Herdprämie“. Wir wollen Frauen, die selbstbestimmt und unabhängig ihren Platz in dieser Gesellschaft ausfüllen. Wir sind uns wahrscheinlich und hoffentlich in dieser Zielsetzung einig. Über den Weg müssen wir offenbar noch reden. Wir dürfen nicht zulassen, dass die bürgerliche Presse Deinen Vorstoß als Chance nutzt, einen Keil in Die Linke zu treiben. Lad die Presse aus und uns ein! Christel Buchinger (LISA), Anni Heike (PV DIE LINKE.), Inge Höger (MdB DIE LINKE.), Frigga Haug, Elke Hoheisel-Adejolu (LISA NRW), Ulla Jelpke (MdB DIE LINKE.), Kersten Katus (Die LINKE.Hamburg), Brigitte Ostmeyer (PV DIE LINKE.), Christiane Reymann (LISA), Heidi Scharf (PV DIE LINKE.), Katharina Schwabedissen (DIE LINKE.NRW), Ulrike Zerhau (PV DIE LINKE.) Witten u.a., den 08.08.2007
Rote Nelke
Anzahl der Beiträge : 29 Ort : Hamburg Anmeldedatum : 19.07.07
Thema: falsch geschrieben So Aug 12, 2007 4:03 pm
Schade, dass mein Nachname verballhornt wurde. Kersten
Toni
Anzahl der Beiträge : 3 Anmeldedatum : 12.08.07
Thema: ein paar Gedanken zur Diskussion Sa Sep 22, 2007 2:06 pm
Liebe LISA-Frauen, mich überzeugen weder die familienpolitischen Vorstellungen von CM noch die frauenpolitischen, die hier in der Liste und in dem offenen Brief an CM geäußert wurden, völlig. Beide erscheinen mir zu eindemensional. Nachdem nun CMs Position in die Nähe der Naziideologie gerückt wurde – ein Totschlagsargument, das ich für unfair und politisch gefährlich halte – stelle ich ein paar – auch noch nicht ausgereifte! - Gedanken zur Diskussion:
Erstens vermisse ich die Berücksichtigung der Rechte und des Wohls der Kinder. War es nicht immer linker Konsens, die Menschlichkeit einer Gesellschaft daran zu messen, wie sie mit ihren schwächsten Gliedern umgeht? Was dazu vorgetragen wird, ist unzulänglich. Beide Seiten setzen deutlich mehr Vertrauen in staatliche Institutionen als ich für vertretbar halte. CM will zur Rechtfertigung des Erziehungsgehaltes die Erziehung in den Familien durch Sozialbehörden und Jugendämter überwachen lassen. Was für Maßstäbe würden diese Behörden an die Erziehungskompetenz der Eltern anlegen? Wer Anita Heiligers Buch „Verrat am Kindeswohl“ oder von der Jugendhilfeeinrichtung Durchboxen e.V. mit Lothar Kannenberg gelesen hat, wird meine Zweifel an der Weisheit der Jugendbehörden verstehen. Vor allem ist jedoch eine solche Überwachung Privater unvereinbar mit den Grundrechten der Kinder und Eltern, sie erinnert an Schäubles Generalverdacht.
Zweitens erscheinen mir die Gegenargumente gegen das Erziehungsgehalt nicht ausreichend durchdacht. CM will damit die Erziehungsleistungen der Familien ideell und finanziell aufwerten. Die Gleichstellung der Frauen sieht sie nicht dadurch erreicht, daß Frauen die gleichen Arbeitsplätze innehaben wie Männer, sondern daß ihre Arbeit genauso viel wert und genauso anerkannt ist wie die der Männer. In der Tarifpolitik ist das eine Forderung auch vieler Gewerkschaftsfrauen. Die LISA-Frauen lehnen das Erziehungsgehalt als „Herdprämie“ ab, da es ja doch wieder die Frauen seien, die sich den Kindern widmen und dann nach der Familienphase keinen Rückweg ins Berufsleben mehr fänden. Sie setzen sich „in der Tradition der sozialistischen Frauenbewegung“ dafür ein, daß Frauen durch die Teilnahme am Arbeitsleben nicht nur „sozial unabhängig“ werden, sondern auch „gestaltend in die Arbeitswelt und die Gesellschaft eingreifen“ können. Doch gehört nicht auch die „Anerkennung der Reproduktionsarbeit als Arbeit“ ins sozialistische Repertoire? Und bietet CMs Erziehungsgehalt, das übrigens in dieser Höhe auch für viele Männer interessant sein dürfte, nicht eine solche Anerkennung bei sozialer Unabhängigkeit? Die programmatischen Eckpunkte der LINKEN legen sich nicht auf ein Frauenbild fest. Sie fordern „eine positive Gleichstellungspolitik für Frauen, die den Zugang zu gesellschaftlichen Entscheidungen ermöglicht, ohne ihnen Lebensformen aufzudrängen, die sie mit dem Verzicht auf persönliche Entfaltungsmöglichkeiten bezahlen.“ Das läßt sich als ein Recht der Frauen lesen, durch den Staat von der Kinderbetreuung entlastet und in ihrer Karriere durch Kinderbetreuung nicht gehemmt zu werden, aber ebenso als ihr Recht, ihre Kinder selbst zu betreuen, wenn sie darin ihre Entfaltungsmöglichkeiten am besten verwirklicht sehen. Diese Doppeldeutigkeit war beabsichtigt, denn anders konnte keine Einigkeit in diesem Punkt erzielt werden. Ausgeschlossen von „gesellschaftlichen Entscheidungen“ sind sie dadurch jedenfalls nicht. Nebenbei bemerkt: Auch das von einem Teil der LINKEn, auch LISA-Mitgliedern, geforderte bedingungslose Grundeinkommen würde die arbeitslosen Empfänger/innen zwar sozial absichern, dabei aber von der Gestaltung der Arbeitswelt ausschließen – wo ist der Unterschied?
Drittens bezeichnen die Schreiberinnen des Offenen Briefes die Familie als „kostengünstig-ste(n) Hort zur täglichen Reproduktion der Arbeitskraft und zur ideologischen Reproduktion unkritischer Bürger der bestehenden Klassengesellschaft.“ Wie kommen sie darauf, daß staatliche oder kirchliche Erziehung im Kapitalismus kritische Bürger/innen hervorbringen will oder auch nur könnte? Kindergärten wurden erfunden, um die für den Kapitalismus notwendigen Fähigkeiten Leistungsbereitschaft, logisches Denkvermögen und Anpassungsfähigkeit zu schaffen, als die Familien diese Fähigkeiten nicht in dem nun für Staat und Wirtschaft erforderlichen Maß erbrachten (Heinsohn/Knieper). Wie stehen die LISA-Frauen zu der linken Kritik an der Zerschlagung der Familie mit dem Ziel der Sicherung des Kapitalismus durch Vereinzelung? Rosa Luxemburg beschreibt in „Die Akkumulation des Kapitals“, wie „als einleitende Methode des Kapitals die systematische planmäßige Zerstörung und Vernichtung der nichtkapitalistischen sozialen Verbände“ durch die Kolonialmächte erfolgte... Ist die Familie eine Schöpfung des Kapitalismus oder ein Relikt aus vorkapitalistischen Zeiten? Ist sie ein Auslaufmodell oder verändert sie nur ihre Formen, um sich den schnelleren gesellschaftlichen Veränderungen und der längeren Lebensdauer der Menschen anzupassen? „Das Bild von der Mutter als Pädagogin qua Geburt ist falsch. Tausende misshandelter, verwahrloster, retardierter Kinder aus allen Schichten der Bevölkerung beweisen das.“ Auch ich glaube nicht, daß eine Frau, nur weil sie ein Kind bekommt, deshalb schon eine gute Erzieherin ist (allerdings sind es meistens die Männer, die mißhandeln). Aber genauso falsch ist die Annahme, daß eine Frau, nur weil sie eine Ausbildung als Erzieherin macht, eine gute Erzieherin werden muß (oder auch ein Mann...), wobei die strukturellen Zwänge der Erziehungsberufe noch nicht einmal berücksichtigt sind. Gibt es Untersuchungen, wieviele dieser „Tausende misshandelter ... Kinder aus allen Schichten der Bevölkerung“ in Kindergärten betreut oder von Jugendämtern überwacht wurden und wieviele allein von ihrer Familie? Die kürzlich eingereichte Petition bis Ende der 70er Jahre(!) mißhandelter, ausgebeuteter, mißbrauchter Heimkinder an den Bundestag oder der Skandal um den Hamburger Jugendknast erlauben jedenfalls nicht, blindes Vertrauen in die Ausbildung zur Erzieherin/zum Erzieher zu setzen.
Viertens vermisse ich Kriterien für die Ausgestaltung der geforderten Kinderbetreuungseinrichtungen, denn von den bestehenden schreiben die LISA-Frauen ja selbst, daß „die derzeitigen Konzepte frühkindlicher Erziehung in Kindertagesstätten und Kindergärten, aber auch in Schulen in vielen Fällen am Wohl der Kinder und Eltern vorbeigehen und unzulänglich sind.“ Wenn sie z.B. befürchten, daß ohne öffentliche Kindererziehung „die sozialen Klassen mit ihren sehr ungleichen Entwicklungschancen einfach reproduziert werden“, dann wüßte ich gern, wie Krippen und Kindergärten dem entgegenwirken sollen. Denn da Kindertagesstätten wie Grundschulen normalerweise gut erreichbar in der Nähe der Wohnungen liegen, ist auch ihre Population sozial sortiert. Damit findet in den Kindergärten dasselbe statt wie in den Grundschulen, was sich dann ab der 5. Klasse im Drei-Stände-Schulsystem wiederholt und verfestigt. Ich will damit kein „bussing“ propagieren – ich frage nur. Ich bezweifle die Aussagen: „Zunehmend mehr Kinder, die außerhalb des Kindergartens groß werden, weisen Mängel im sprachlichen, motorischen und sozialen Bereich auf. Vor allem für Kinder aus Haushalten mit Migrationshintergrund bieten Krippen eine Lösung in der Frage des frühen Erwerbs auch der deutschen Sprache.“ Wieviele Kinder mit welchem sozialen Hintergrund wurden von wem untersucht und mit wem verglichen? Kann denn eine Erzieherin, die 20 Kinder zu betreuen hat, mit jedem einzelnen Kind soviel sprechen wie eine Mutter selbst mit mehreren Kindern zuhause? Muß nicht die Erzieherin - schon aus Versicherungsgründen - die Kinder ständig zur Vorsicht mahnen und daran hindern, die eigenen Kräfte auf nicht dafür vorgesehene Weise auszuprobieren? Hat sie wirklich die Zeit zu verhindern, daß die größeren Kinder die kleineren majorisieren und daß etwas auffällige oder schüchterne ausgegrenzt werden? Wurde je die Untersuchung von 1968 wiederholt, in der festgestellt wurde, daß „jede zweite Äußerung (50%) der Kindergärtnerinnen über Verhaltensweisen, Gedanken und persönliche Merkmale ihrer Kinder (...) ausgeprägt geringschätziger und abwertender Art (...) (war), und nur in jeder dritten Äußerung (34%) kam ausgeprägte Anerkennung und Wertschätzung des Kindes (...) zum Ausdruck.“ (Heinsohn/Knieper) „Kinder machen – bewusst oder unbewusst – in den für sie organisierten Lernumwelten die Erfahrung einer nahezu durchgängigen Überwachung und (Ver-)Planung. Mit der ständigen Beaufsichtigung droht spontanes, kreatives und eigenwilliges Verhalten der Kinder, z.B. in subversiven Kinderspielen, verloren zu gehen.“ (Karl Neumann) Das „geheime Curriculum“ dieser Einrichtungen ist (mit wenigen elitären Ausnahmen) Anpassung und Gehorsam – nicht, weil die Erzieher/innen so böse oder unfähig sind, sondern weil sie in ihrem Job funktionieren müssen und gar nicht die Zeit haben, sich individuell auf alle einzelnen Kinder einzulassen. Ob Krippen Kindern aus Haushalten mit Migrationshintergrund tatsächlich eine Lösung in der Frage des frühen Erwerbs auch der deutschen Sprache bieten, müßte genauer untersucht werden. In den skandinavischen Ländern sollen die Kinder auch in ihrer Muttersprache gefördert werden (was hier ja nicht geschieht), weil sonst die Gefahr bestehe, daß sie beide Sprachen nicht richtig lernen. Angesichts all dieser Unwägbarkeiten und Unvollkommenheiten plädiere ich für Wahlfreiheit der Eltern, wie es auch die programmatischen Eckpunkte tun. Eine echte Wahlfreiheit setzt einerseits eine bedarfsdeckende Anzahl von Krippen- und Kindergartenplätzen mit noch zu erarbeitenden qualitativen Kriterien voraus, andererseits aber – was in dieser Debatte ziemlich vernachlässigt wird – ausreichend existenzsichernde Arbeitsplätze für Mütter und Väter sowie bedarfsgerechte Sozialleistungen. DIE LINKE. ist da auf gutem Wege: Sie fordert eine handfeste Arbeitszeitverkürzung, bedarfsgerechte Sozialleistungen und den Ausbau von Betreuungseinrichtungen für Kinder. Diese Maßnahmen würden die Vereinbarkeit von Beruf und Familie deutlich verbessern und ebenso die Wahlfreiheit der Eltern. Es ist gesellschaftlich anerkannt, wenn ein Studienrat ein Sabbatjahr nimmt und es nutzt, um Neuseeland und Australien zu bereisen. Weshalb soll es nicht anerkennenswert sein, wenn eine Mutter oder ein Vater in einem langen Arbeitsleben eine Auszeit von einigen Jahren nehmen, um sich einem Kind zu widmen? Sie können diese Zeit darüber hinaus sinnvoll nutzen, wenn sie ihre Erfahrungen zum Wohle aller Kinder einbringen und sich für eine neue kindgerechtere Kultur engagieren wie z.B. Karl Neumann vorschlägt: „Vonseiten der Tageseinrichtungen können die Nachteile des organisierten und inszenierten Kinderlebens in den modernen Gesellschaften nur verringert werden, wenn Kindern Raum für selbstgestaltetes Kinderleben und unbeaufsichtigtes Kinderspiel geschaffen, die Tendenz zur Verschulung reduziert, die Einrichtung als Ort der Begegnung geöffnet und in nachbarschaftliche Lebens-zusammenhänge eingebunden wird.“ Toni
Zuletzt von am So Sep 23, 2007 8:52 am bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
frigga
Anzahl der Beiträge : 22 Anmeldedatum : 21.07.07
Thema: familie und wie weiter Sa Sep 22, 2007 11:11 pm
liebe toni vielen dank für deinen nachdenklichen beitrag gegen die einseitige verdammung des erziehungsgeldes und die kritische prüfung unseres offenen briefes. es ist vollkommen richtig, dass wir die verdammung der familie als ort der rpoduktion von neurosen, egwalt und unterdrückung noch nichtrichtig durchdacht haben, angesichts der entwicklungen im derzeitigen neoliberalismus, in dem singles durchaus passender wären und sind als familien. überhaupt ist aus den verschiedenen Erziehungsdiskussionen noch eine Menge zu lernen, aber natürlich auch umgekehrt vorstellungen von der freien , besorgten idyllischen familie als hort des friedens und der entwicklung kritisch zu hinterfragen. kurz, wir müssen das weiter diskutieren. wir wollen das vom 9-11. november auf der esslinger werkstatt tun es gibt eine gruppe, die das modell der bezahlten reproduktionsarbeit stark machen wird und eine, die über die Kita.kampagne weiterarbeiten wird. in beiden wärest du absolut dringend von nöten. bitte komme
und was machst du ansonsten? herzlich frigga
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