Was wäre wenn ... eine fiktive Geschichte
Jana K. ist im Stress. Gleich kommt der Familienberater und sie hat die Wohnung noch nicht aufgeräumt. Ihr Sohn, der neun Monate alte Julius, hat die halbe Nacht geschrieen und die junge Mutter um den Schlaf gebracht. Ihre Freundin Alba war bis 22 Uhr bei ihr zu Besuch, es steht die halbgeleerte Flasche Rotwein auf dem Tisch und ein Glas – Jana hatte Tee getrunken. Soll sie duschen oder doch lieber Ordnung schaffen? Reicht es, wenigstens die Zähne zu putzen?
Sie schaut in den Spiegel und findet sich fürchterlich. Der Kleine fängt gerade wieder an zu quengeln. Wo hat sie nur den Impf- und den Mutterschutzpass hingelegt? Beide Unterlagen wollte Herr Meier schon letztes Mal sehen. Sie vermutet sie unter einem Stapel von Papier. Schnell wirft sie den Inhalt des Aschenbechers in den Mülleimer. Herr Meier hatte sich bei seinem letzten Besuch eine Notiz gemacht, dass Jana raucht und ihr angeboten, an einem Nichtrauchertraining teilzunehmen. Sie hat vergessen, sich anzumelden.
Thomas, der Vater von Julius, ist seit drei Tagen auf Geschäftsreise. Er wollte eigentlich dabei sein, wenn Herr Meier das nächste Mal kommt, aber Herr Meier hatte den Termin verschieben müssen. Nun muss sie ihm wieder alleine Rede und Antwort stehen. Herr Meier ist ein netter Mensch. Er wirkt seriös und hat allerlei Vorschläge, wie Jana ihren Alltag als junge Mutter besser meistern kann. Ob er heute noch freundlich bleibt, wenn sie die Pässe nicht vorzeigen kann, er den Zigarettenrauch riecht und die Weinflasche sieht?
Julius schreit. Er steht in seinem Gitterbettchen, seine Fäustchen umklammern die Stäbe. Wann hatte er den letzten Windelwechsel?, fragt sich Jana. Besser, sie wickelt ihn noch einmal. Aber da Julius seit zwei Tagen wund am Po ist, dauert das Procedere länger als sonst. Sie muss ihn vorsichtig waschen, eincremen – Windelwechsel ist zurzeit mit Julius eine Tortur. Am liebsten würde sie ihn nackt lassen, damit Luft die Stellen kommt. Wie würde es Herr Meier finden, wenn er das nackte Kind in der Wohnung sieht?
Jana wurde kurz vor der Schwangerschaft arbeitslos. Sie ist nach ihrer Ausbildung nicht übernommen worden. Sie ist froh, dass es das Erziehungsgehalt gibt. Am liebsten würde sie Julius aber bald in eine Krippe geben, denn sie findet, dass ihm der Kontakt zu anderen Kindern gut tut wird. Herr Meier hatte ihr davon abgeraten, wie auch ihre Mutter. Jana würde sich gern einen Job suchen, denn sie hat die Sorge, dass sie aufgrund fehlender Berufserfahrung später nicht wieder in ihren Job hinein kommt. Sie ist dauernd so müde, dass es ihr schwer fällt, die Stellenanzeigen in der Zeitung zu verfolgen oder zur Arbeitsagentur zu gehen. Sie hat sich am Schwarzen Brett des Supermarktes die Adresse einer Tagesmutter aufgeschrieben und sie angerufen. Im Hintergrund hörte sie Hundegebell und Kindergeschrei. Sie legte gleich wieder auf. Herr Meier hat ihr gesagt, sie soll sich keine Sorgen machen, das würde sich alles geben. Und vielleicht käme ja auch mal ein zweites Kind. Wie würde das aussehen, meinte er, wenn sie kurz nach einem Widereinstieg ihrem Arbeitgeber mitteilen würde, dass sie wieder schwanger sei? Sie soll sich nicht unnötig doppelt belasten, hat er dann noch gesagt.
Gestern hat sie im Fernsehen einen Bericht gesehen. Eine Mutter hatte mehrere Säuglinge kurz nach der Geburt getötet. In dem Bericht hieß es auch, die Mutter sei früher von ihren Eltern geschlagen und von ihren Brüdern sexuell missbraucht worden, ihr Mann sei Alkoholiker und hätte die Familie vernachlässigt. Die Frau hätte den Mann aber dennoch nie verlassen. Warum, konnte sie nicht erklären. Hätte ein Familienberater wie Herr Meier der Frau helfen können? Jana hat um diese Kinder geweint.
Die Liebe zu Thomas ist in der letzten Zeit abgeflaut. Jana glaubt auch, dass eine andere Frau im Spiel ist. Soll sie Herrn Meier darauf ansprechen? Alba hat ihr geraten, reinen Tisch zu machen und Thomas zu verlassen. Mit dem Erziehungsgehalt könnte sie sich und Julius ernähren. Aber sie möchte auch gern wieder arbeiten. Richtig arbeiten, in ihrem Beruf vorankommen. Sie nimmt Julius auf den Arm und trocknet die wütenden Tränen auf dem roten Gesicht. Sie summt ein Lied, damit er sich beruhigt.
Es klingelt. Unwillig öffnet Jana die Tür.