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 Feministische Kritk des Bundeswahlprogramms der LINKENpunkt

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BeitragThema: Feministische Kritk des Bundeswahlprogramms der LINKENpunkt   Feministische Kritk des Bundeswahlprogramms der LINKENpunkt Icon_minitimeMo Apr 06, 2009 10:12 am

Bundestagswahlprogramm der Linkepunkt
Geschlechterverhältnisse unterbelichtet

Seit einer Woche liegt mir der Entwurf eines Wahlprogramms der Linkepunkt vor. Ich hatte mir eine feministische Kritik vorgenommen, nach dem ersten Überfliegen meinte ich zu wissen, dass es wohl eine Polemik werden muss; beim genaueren hinsehen aber schien dieser Programmentwurf mir unkritisierbar oder kritisierbar nur unter großem Unwohlsein. Also lag es erstmal eine Woche und ich grübelte darüber, was dieses Programm so überaus verdrießlich macht. Es ist 57 Seiten lang, es starrt vor Wiederholungen des gleichen Sachverhalts, ohne dass dieser dadurch besser erklärt würde. Man hat sich wohl die Arbeit einer redaktionellen Überarbeitung sparen wollen. Dadurch wird das Dokument so schlecht, dass es schon einer Beleidigung nahe kommt. Ausserdem fragt man sich, wie zu einem solchen Dokument Änderungsvorschläge formuliert werden sollen, wenn der kritisierte Sachverhalt drei-vier-mal in unterschiedlichen Absätzen vorkommt.

Nun gut, wir hören und lesen, konsequent realistisch soll alles werden, das Programm, der Wahlkampf und am besten die ganze Partei; Dietmar Bartsch wird gar mit „gnadenlos realistisch“ zitiert. Der Spiegel weiss von einem roten Wahlkampfordner, in dem der Partei erklärt wird, wie sie’s machen soll, ebenso berichtet er von einem Pranger im Karl-Liebknecht-Haus, an den eine name-and-shame-Liste geheftet werden soll, auf dem alle vermerkt werden, die unangenehm aufgefallen sind im gnadenlos realistischen Wahlkampf. So trifft sich die Kritikkultur der alten SED und ihrer Satelliten mit der neuen toughen der neoliberalen Werbestrategen, und man sieht verwundert: es ist kaum ein Unterschied sichtbar. Tzz.

Nun aber zum Wahlprogramm, das, wie gesagt, konsequent realistisch sein soll. Der konsequente Realismus äussert sich dann darin, dass zwar von der tiefsten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren geredet wird und auch von einer ökologischen Krise aber jeder Alarmismus wird vermieden, sonst könnte ja der Eindruck entstehen, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise uns Menschen überwinden wird, wenn wir sie nicht überwinden. Dass es der dem Kapitalismus untrennbar eigene Wachstumswahn ist, der zu all diesen Krisen führt und droht, unsere Lebensgrundlagen, die ökologischen, die sozialen, die kulturellen zu zerstören, ja täglich dabei ist, das zu tun.

GERECHTER KAPITALISMUS

So wird jeder Verdacht vermieden, man wolle die kapitalistische Wirtschaftsweise generell in Frage stellen oder auch nur kritisiern. Zum Beispiel: Ist es „realistisch“ zu sagen: „Der gegenwärtige Kapitalismus ist sozial ungerecht“ (Seite 2)? Welche Realistin könnte so etwas unterschreiben? Wann war der Kapitalismus jemals gerecht? Wann hat er kein Elend produziert, im eigenen Land oder in der sog. Peripherie? Welche alleinerziehende Frau hätte dieses Wirtschaftssystem zu irgendeinem Zeitpunkt gerecht nennen wollen? Natürlich gab es Menschen in unserem Land, denen es im rheinischen Kapitalismus verhältnismässig gut ging. Das waren jene Industriearbeiter und ihre Familien, die Träger des alten Klassenkompromisses waren, von dem vor allem sie profitierten und den die Neoliberalen seit Jahren Stückchen um Stückchen aufkündigen. Diesen Klassenkompromiss fanden diese Industriearbeiter „gerecht“ und seine Aufkündigung „ungerecht“. Opel mit Staatsknete zu helfen, sei nur gerecht, sprach der Opelarbeiter aus Kaiserslautern ins Radiomikrofon. Die Aussage, der gegenwärtige Kapitalismus sein ungerecht, ist folglich keine realistische Aussage, sondern sie redet einem angenommenen Klientel nach dem Mund. Sie verschleiert die Realität, sie redet sie schön. Sie spricht unbequeme Wahrheiten nicht aus, aus Angst Wähler zu verschrecken. Die Wählerinnen nenne ich bewusst nicht, die sind nicht so schreckhaft. Ausserdem ist diese Aussage gerade dazu hilfreich, bestimmte Ungerechtigkeiten elegant zu überspielen.

GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT

Die Behandlung der Geschlechterverhältnisse war ja mein erster und eigentlicher Anlass zu einer Kritik des Programms. Die frohe Botschaft: Frau kommt deutlich häufiger vor als in den vorhergehenden programmatischen Entwürfen seit 2005. Mann nicht, dabei bleibt es. Dabei hat dieses Land ein ausgesprochenes Männerproblem. Aber dazu später. Alles in allem wurden die Frauen nirgendwo vergessen, in allen Aufzählungen von Betroffenen, sowohl bei der Verkehrspolitik bis zur Antidiskriminierungspolitik kommen sie vor. Frigga Haug hat das mit der Petersilie verglichen, die man nicht vergessen darf. So fordert Die Linkepunkt die Abschaffung der Lohndiskriminierung von Frauen oder allgemein der Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt, dies an sechs Stellen im Programm (wenn ich richtig gezählt habe). Natürlich fehlt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht, die Frauenförderung in der Wirtschaft, im Sudium und der Wissenschaft sowie im Sport. Sie will die individuelle Sicherung und wirtschaftliche Eigenständigkeit von Frauen durchsetzen. Klar, was damit gemeint ist: Frauen brauchen Förderung um sich anpassen zu können – an den Arbeitsmarkt, an das Wissenschaftssystem und an die Sportkultur.

Und dann gibt es natürlich noch einen eigenen Abschnitt zur Gleichstellung, ohne die, so heisst es in der Überschrift, die Demokratie unvollständig sei. (Hab ich das nicht in einem Papier der EU grad so gelesen?) Und dann tun sie den Neoliberalen auch noch Unrecht: „strukturelle Ursachen wie die geschlechtsspezifische Teilung von bezahlter Erwerbs- und unbezahlter Sorgearbeit werden nicht in Frage gestellt“ heisst es über die Neoliberalen. Dabei stimmt das gar nicht. Sehr wohl wird die Um- und Neuverteilung von Familien-, Betreuungs- und Erwerbsarbeit gefordert, zum Beispiel von der Europäischen Kommission. Der Neoliberalismus zeichnet sich ja nicht durch eine reaktionäre Geschlechter-und Familienpolitik aus, sondern durch eine moderne, durch Modernisierungsversuche dieser Bereiche. Das Problem ist, dass neoliberale Politik widersprüchlich ist und nicht anders sein kann, denn die Schließung von Gerechtigkeits- und Gleichheitslücken trifft auf Politik der gleichen Leute, die soziale Gräben aufreisst und vertieft, Lebenschancen verschlechtert und massenhaft Menschen ausgrenzt. Das macht die Modernisierungsversuche nicht falsch, sie sind auch durchaus kompatibel mit linken Programmen. Aber entscheidend wäre, die Politik in ihrer Widersprüchlichkeit und Gegensätzlichkeit zu begreifen und zu beschreiben. Der bewussten Veränderung geht das Erkennen nämlich voraus.

Also greift Die Linkepunkt Gender Mainstreaming auf, ohne es zu benennen. Dann muss es nicht kritisiert werden? Es zu kritisieren bedeutete, den Regierungen nachzuweisen, dass es nicht konsequent umgesetzt wird und dort wo es umgesetzt wird, scheitert. Die Gründe des Scheiterns würden aufzeigen, was getan werden müsste, damit es gelingen kann.

„Gleichstellung von Frauen und Männern ist eine Querschnittsaufgabe. Dazu müssen in allen Politikbereichen die Geschlechterverhältnisse systematisch berücksichtigt werden.“
So steht es da. Und wie spricht der Programmentwurf ansonsten zu uns? Nimmt die Linkepunkt den Anspruch, auch für sich selbst ernst, für die eigene Politik? Sind in dem Programm in allen Politikbereichen die Geschlechterverhältnisse als Querschnittspolitik berücksichtigt? Nein, die Geschlechterverhältnisse fristen das Petersiliendasein; Nebensatzfeminismus hat die Lisa-Sprecherin Sandra Beyer genannt. In der Geschlechterpolitik stecken nämlich Revolutionen! In so einem unscheinbaren Bereich wie der Sportpolitik würde die Überprüfung „aller Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Gleichstellung von Frauen und Männern“ einen völligen Umsturz der Sportförderung bedeuten. Aber konsequent realistisch weiss man natürlich, dass das Wähler vergrault, insbesondere männliche. Und so wird ein Anspruch erhoben, der selber nicht eingelöst wird, in JEDEM Politikfeld, bei jeder Massnahme nach den Interessen, den Zielen, den Auswirkungen für Männer und Frauen systematisch zu fragen.

Dies befolgend käme man auch hinter ein anderes Geheimnis: die Kritik der Geschlechterverhältnisse betrifft nicht nur Frauen sondern auch Männer. Das würde die Männer aus ihrer Selbstgewissheit holen, die Repräsentanz der Gattung zu sein und in den Frauen die etwas bedürftige, schützenswerte Abweichung zu sehen. Es ist entlarvend, dass im Programmentwurf „Männer“ nie als Gruppe mit eignen Problemlagen benannt werden, sondern ausschliesslich im Zusammenhang mit „Frauen“, immer als Vergleichsgrösse zu dem, was Frauen erreichen sollen. Da hilft es auch nicht, zu betonen: „Dabei geht es weder um Politik „gegen Männer“ noch um die Anpassung von Frauen an männliche Normen. Es geht um eine Gesellschaft, die für Frauen und Männer gleichermaßen gerechter werden muss. Wer eine menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden.“ Das ist dann schlicht unglaubwürdig.

Ein echte Geschlechterpolitik würde offen legen, dass der Schutz von Frauen vor Gewalt, Schutz vor Männern ist, folglich nicht nur die Opfer benennen, sondern auch die Täter. Es würde nicht nur Schutzpolitik für Frauen fordern, sondern eine eine kritische Männerpolitik.
Es würde offen legen, dass der gefährlichste Ort für Frauen nicht nur in Migrantenfamilien das eigene Heim ist, dass „Ehrenmorde“ nicht nur bei türkischen Familien vorkommen, sondern auch in deutschen, wenn der Mann Frau und Kinder bestialisch ermordet, weil die Frau ihn verlassen will.

Dieses Land hat nämlich ein Männerproblem, das sich äussert in Gewalt gegen Frauen, Kinder und ihresgleichen bis hin zum Amoklauf. In Rücksichtslosigkeit gegen andere und gegen sich selbst, in Zerstörung der äusseren und der eigenen inneren Natur.

VERSCHRÄNKUNG VON ÖKONOMISCHER UND ÖKOLOGISCHER KRISE

Ja, auch die ganz großen Krisen haben eine Geschlechterdimension. Die nicht nur aber auch darin besteht, dass Frauen der ökologischen Krise wesentlich mehr Gewicht beimessen als Männer. Aber seien wir gerecht. Zeigen wir auch das Positive des Wahlprogramms auf. Richtig ist, die Klimakatastrophe kommt vor (allgemeines Aufatmen), wenn sie auch als Wort nur einmal verwandt wird und man lieber auf das Wort Klimakrise zurück greift. Auch das ist wahrscheinlich jenem Realismus gezollt, der die Leut’ nicht erschrecken will. Es überrascht dann auch, dass ‚Gute Arbeit’ (Kapitel 2.1) jedenfalls nichts mit Ökologie zu tun hat, wenn es nach dem Programm geht. Ist ja auch unsicheres Gelände. Steht doch der Erhalt von Arbeitsplätzen – im übrigen fast nur Männerarbeitsplätze - nicht selten gegen klimapolitische und ökologische Vernunft. Der Saarkohlebergbau und Opel bringen die Linkepunkt schon in Zwickmühlen und es werden weitere folgen, wenn das große Sterben im Transportgewerbe beginnt oder bei Fluggesellschaften und Waffenherstellern. Der konsequente Realismus der Wahlstrategie lässt solche Widersprüche lieber unter den Tisch fallen.

Etwas verschwommen wirken auch die politischen Antworten auf die ökologische Krise. Relativ klar ist, das geforderte jährliche 100 Milliarden-Zukunftsprogramm soll auch dem Klimaschutz verpflichtet sein und ein Zukunftsfonds von weiteren 100 Milliarden (pro Jahr?) soll den Unternehmen die Umstellung der Produktion auf energie- und rohstoffeffiziente Verfahren und Produkte ermöglichen. Ansonsten wird die radikale Wende zu erneuerbaren Energien, eine Effizienzrevolution und eine ökologische Verkehrswende gefordert und Andeutungen, dies durch staatliche Regulierung erreichen zu wollen, sind vorhanden. Aber die Veränderung, die Revolutionierung unserer Lebensweise, wird nicht mit Finanz- und Investitions- oder Technologiepolitik bewerkstelligt. Und das ist eine weitere große Leerstelle dieses Programms.

Die tiefste kapitalistische Krise seit 80 Jahren, wenn nicht die tiefste überhaupt, in Verbindung mit dem drohenden ökologischen Kollaps, den Hungerkrisen, dem sich zuspitzenden Armutsproblem, dem tiefen weltweiten Strukturproblem schwindender und idiotisch verteilter Erwerbsarbeit, den Rohstoffkrisen, den Krisen der Geschlechterverhältnisse, den Demokratiekrisen erfordert JETZT, nicht morgen oder übermorgen ganz neue Antworten.

Das mit den Antworten ist zugegeben schwer. Es gibt viele, in vielen Fragen aber zu wenige, man weiss nicht immer, welches die richtigen sind. Die Krise hat viele überrumpelt, auch Linke, die sie vorhergesagt haben. Krisen überrumpeln immer. Die Antworten sind nicht die aufpolierten von gestern, die Aufstockung der Forderungen. Die Antworten werden nicht im Parlament gefunden und nicht in der Regierung, sie entstehen in einem gesellschaftlichen Prozess, der Auseinandersetzung bedeutet und „sich zusammensetzen“, Streit und Konsens, Einbeziehung aller, Respekt und das Einnehmen verschiedener Blickwinkel, das Stehen in anderen Schuhen, Reden und gemeinsames Nachdenken. Alles was diese Gesellschaft nicht gut kann und auch nicht die Linkepunkt. Es hätte einer Linken gut angestanden, wenn sie die Gelegenheit der Krise beim Schopf gepackt hätte und – statt im eigenen Saft einer kleinen Programmgruppe zu schmoren – einen Prozess der Selbstverständigung angezettelt hätte, einer mit runden Tischen, Konferenzen, Gesprächen über das ganze Land, einer der alle anspricht, die Klugen, die sich von der Linkepunkt fernhalten, die Jungen, für die Politik ätzend ist, die Frauen, die Machos meiden, die Älteren, deren Lebenserfahrung nichts gilt, alle zusammen. Auch das wäre Geschlechterpolitik: nicht Top down sondern Buttom up, nicht belehren sondern fragen .

Denn das zum Abschluss zur Demokratie: Der Parteivorstand redet bezüglich der Gesellschaft über Demokratie, aber die eigene Satzung wird
elegant umschifft. Dort steht nämlich unter § 7 (3), dass die Arbeitsgemeinschaften und Interessengemeinschaften entsprechend ihren Schwerpunkten aktiv in die Arbeit von Parteivorstand (usw.) einzubeziehen sind“. Das ist bei der Erstellung des Wahlprogramms offensichtlich nicht geschehen, jedenfalls war die Frauenarbeitsgemeinschaft LISA nicht einbezogen. Das ist zu kritisieren, rettet aber ihren gute Ruf.
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